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Körperekel und Trauma: Warum wir unseren Körper ablehnen – und wie Heilung beginnt


Frau schaut sich im Spiegel an

Was ist Ekel? Und welches Bedürfnis steckt dahinter?

Ekel ist ein grundlegender Schutzmechanismus. Ursprünglich hilft er uns, Gefahren zu vermeiden – etwa verdorbene Nahrung oder Krankheitserreger. Doch Ekel kann sich auch gegen uns selbst richten – gegen unseren Körper, unsere Bedürfnisse, unsere Sinnlichkeit. Dann ist Ekel nicht mehr körperlich, sondern emotional.

Hinter Ekel steckt oft ein tiefes Bedürfnis nach Reinheit, Sicherheit und Kontrolle. Wenn wir in der Kindheit erleben, dass bestimmte Gefühle oder Verhaltensweisen unerwünscht sind, entwickeln wir einen inneren Widerwillen – gegen das, was wir eigentlich sind. Der Beginn von emotionalem Ekel.


Körperhass und Ekel: Warum man sich vor dem eigenen Körper ekelt

Viele Menschen erleben ein tiefes Gefühl von Abscheu gegenüber ihrem eigenen Körper. Dieses Gefühl ist selten oberflächlich – es ist Ausdruck eines tiefer liegenden Konflikts. In schweren Fällen sprechen wir von der körperdysmorphen Störung, bei der Betroffene bestimmte Körperteile als entstellt empfinden.

Neurobiologisch zeigen sich dabei Aktivierungen in der Amygdala, der Insula und dem präfrontalen Kortex – Gehirnregionen, die für Bedrohung, Selbstwahrnehmung und Emotionsregulation zuständig sind. Auch das Nervensystem steht oft unter chronischem Stress: Fight, Flight, Freeze oder Fawn.

Der Körper wird nicht als sicher empfunden, sondern als Bedrohung. Körperhass ist dann der Ausdruck einer tiefer liegenden Entfremdung.


Vom emotionalen Ekel zum Selbsthass: Warum sich Ablehnung auf den Körper überträgt

Der Ursprung des Selbsthasses liegt nicht im Körper – sondern in der emotionalen Ablehnung in der Kindheit. Ein Kind wird nicht abgelehnt, weil es einen bestimmten Körper hat, sondern weil es auf eine Weise fühlt, spricht, spielt oder Grenzen setzt, die im Familiensystem nicht willkommen ist.

Diese Ablehnung führt zu innerer Anpassung – und mit ihr entsteht emotionaler Ekel: ein innerer Widerstand gegen das eigene Wesen. Mit der Zeit sucht sich dieser Ekel einen sichtbaren Angriffspunkt – den Körper. Der Körper wird zum Projektionsfeld für all das, was wir an uns selbst ablehnen.

Selbst wenn der Körper objektiv schön erscheint, kann er gehasst werden – weil er Ausdruck von Bedürftigkeit, Emotionalität, Verletzlichkeit oder Sinnlichkeit ist. Aspekte, die wir gelernt haben zu unterdrücken, weil sie Ablehnung ausgelöst haben.


Selbsthass und Körperbild: Wenn das eigene Ich unerträglich wird

Körperekel kann sich zu tiefem Selbsthass entwickeln. Dieser richtet sich nicht nur gegen das Äußere, sondern gegen das gesamte Dasein.Typische Gedanken:„Ich bin falsch.“„Ich bin zu viel.“„Ich darf so nicht sein.“

Der Körper wird kontrolliert, gehasst, verhüllt oder sogar bestraft. Er ist nicht mehr Heimat, sondern Feind. Und weil der Körper das Sichtbarste ist, wird er oft Ziel des Hasses – obwohl der Schmerz an ganz anderer Stelle liegt.


Körperscham: Der Körper als Bühne der Unzulänglichkeit

Scham ist eines der lähmendsten Gefühle. Körperscham entsteht nicht, weil der Körper „nicht schön genug“ ist, sondern weil er das Sichtbarwerden von innerer Unsicherheit und Verletzlichkeit bedeutet. Der Körper wird zur Bühne, auf der die eigene Unperfektheit sichtbar wird.

Wer sich für seinen Körper schämt, will meist unsichtbar bleiben, sich nicht zeigen, nicht auffallen. Man versucht, das, was vermeintlich „falsch“ ist, hinter einem strahlenden Bild zu verstecken. Das Resultat ist innere Isolation, soziale Unsicherheit und ein tiefes Gefühl der Trennung vom eigenen Spüren.


Trauma und Körperekel: Wie sich emotionale Wunden im Körper zeigen

Körperekel ist oft eine Folge von Trauma – insbesondere von Bindungs- und Entwicklungstrauma. Wenn der Körper in frühen Beziehungen nicht als sicherer Ort erlebt wurde, speichert das Nervensystem die Botschaft: „Ich bin nicht okay.“Diese innere Erfahrung wird später am Körper abgeladen – über Diäten, übermäßige Kontrolle, Dissoziation oder Selbstverletzung.

Auch transgenerationales Trauma wirkt: Wenn in der Familie ein negatives Körperbild, Diätkultur, Leistungsdruck oder Scham über Sexualität weitergegeben wurde, entsteht Körperscham oft über Generationen hinweg – subtil, aber tief.


Warum Trauma das Selbstbild verzerrt

Menschen mit Trauma in ihrer Geschichte haben oft kein realistisches Selbstbild. Sie sehen sich durch die Linse von alten Glaubenssätzen wie:„Ich bin nicht gut genug.“„Ich darf keinen Raum einnehmen.“„Ich bin nur sicher, wenn ich angepasst bin.“

Diese verzerrte Selbstwahrnehmung macht es schwer, sich selbst zu akzeptieren – unabhängig davon, wie der Körper objektiv aussieht.


Ekel als Schutzmechanismus: Warum er einst notwendig war

Ekel war einst ein sinnvoller Schutz – emotional wie körperlich. In der Traumafolgestörung wird er oft zu einem Mechanismus der Dissoziation: Ich fühle nichts mehr, also kann ich mich schützen.

Doch langfristig trennt uns dieser Schutz von unserem Spüren, unserer Sexualität, unserer Lebendigkeit. Der Weg der Heilung beginnt damit, Ekel nicht zu bekämpfen, sondern zu verstehen, zu integrieren – und dem Körper neue, sichere Erfahrungen zu ermöglichen.


Spirituelle Perspektive: Der Körper als Weg, nicht als Hindernis

Viele spirituelle Wege zielen auf Licht und Bewusstsein – doch wahre Heilung geschieht durch Verkörperung. Der Körper ist kein Hindernis auf dem Weg zur Seele – er ist der Weg.

Erst wenn wir mit uns selbst im Körper ankommen, kann tiefe Transformation geschehen. Spirituelles Wachstum bedeutet nicht, den Körper zu transzendieren, sondern ihn als heiligen Raum zu ehren.

Frau berührt sich selbst

Selbstannahme lernen: Sich selbst mögen trotz Unvollkommenheit

Heilung beginnt nicht mit Selbstliebe, sondern mit Zulassen. Wer beginnt, sich selbst mit Mitgefühl zu betrachten – nicht perfekt, aber ehrlich – kann erleben, dass sich Körperekel langsam wandelt.

Es braucht Sicherheit, Zeit, Regulation und oft auch Begleitung. Aber jede kleine Geste der Freundlichkeit sich selbst gegenüber ist ein Schritt zurück nach Hause – in den eigenen Körper.


Perfektionismus loslassen – und sich selbst bewohnen

Hinter dem Wunsch, perfekt zu sein, steckt fast immer eine Angst: die Angst, nicht zu genügen. Viele Menschen glauben – oft unbewusst –, dass sie erst dann liebenswert sind, wenn sie alles unter Kontrolle haben: den Körper, die Gefühle, den Alltag, die Beziehungen. Diese Strategie ist nicht dumm – sie ist eine Überlebensstrategie, entstanden in einem Umfeld, in dem man sich nur durch Leistung, Anpassung oder Selbstoptimierung sicher fühlen konnte.

Doch Perfektion trennt uns von uns selbst. Sie hält uns in einem ständigen Zustand der Selbstkontrolle und verhindert echte Nähe – auch zu uns selbst. Perfektionismus im Körperbild ist besonders tückisch: Er gaukelt uns vor, dass wir erst dann okay sind, wenn wir faltenlos, glatt, fit und makellos sind. Doch wahre Zuneigung entsteht nicht durch Optimierung – sondern durch Verbundenheit.

Und hier liegt die Krux: Je mehr wir unsere Vergangenheit verstehen, je mehr wir in Kontakt mit unserem Inneren kommen – durch Körperarbeit, Reflexion, Mitgefühl –, desto freundlicher und ehrlicher wird auch die Beziehung zum eigenen Körper. Der Körper wird dann nicht mehr bewertet oder korrigiert, sondern bewohnt. Mit allem, was er mitbringt: Narben, Geschichten, Falten, Fettpölsterchen, Spannungen, Schönheiten.


Wie das Leben ohne Körperekel aussehen kann

Ein Leben ohne Körperekel ist nicht ein Leben voller Selbstinszenierung. Es bedeutet nicht, dass man sich plötzlich ständig nackt zeigt, sinnliche Fotos macht oder vor Selbstliebe strahlt. Es bedeutet etwas viel Tieferes – etwas viel Sanfteres:

  • Es bedeutet, sich selbst zu mögen. Jeden Tag ein bisschen mehr.

  • Es bedeutet, morgens in den Spiegel zu schauen und nicht mehr als Erstes an sich herumzumeckern.

  • Es bedeutet, dem eigenen Körper zuzuhören, statt ihn zu kontrollieren.

  • Es bedeutet, ihn zu berühren, ohne Ekel, ohne Scham – einfach mit einem: „Ich bin da.“

Wer sich selbst einst gehasst hat, kann lernen, sich auf eine Weise zu mögen, die nicht auf Hochglanzbildern basiert – sondern auf Ehrlichkeit und Intimität mit sich selbst. Diese Liebe ist nicht laut, sondern still. Und sie ist heilsam.

Denn der von der Gesellschaft propagierte Perfektionismus – insbesondere in Bezug auf Körper – hat nichts mit echter Selbstannahme zu tun. Er ist eine Maske. Eine Hochglanzfassade, die verhindern soll, dass jemand sieht, wie es in uns wirklich aussieht. Doch diese Fassade lässt uns vereinsamen. Sie macht uns stumm, leer und abhängig vom Außen.

Wenn wir den Mut haben, uns selbst zu begegnen, dann beginnt etwas zu heilen – und der Körper folgt. Nicht sofort, nicht linear. Aber spürbar. Er wird wieder zum Zuhause. Er wird Teil von uns. Mit allen Makeln. Mit allem, was er trägt.

Denn der Körper ist immer auch ein Spiegel unserer Beziehung zu uns selbst. Je liebevoller, sanfter und stabiler diese Beziehung wird – desto weicher, echter und verbundener wird auch die Beziehung zum Körper.Er gehört dann auf einmal dazu.Nicht als Ziel eines langen Kampfes – sondern als selbstverständlicher Teil unserer Geschichte.

Und das fühlt sich nicht perfekt an. Sondern echt. Und das reicht.



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