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Wenn uns tiefer Schmerz auf fortgeschrittenem Heilungsweg ereilt...

Sandra Reudenbach

Aktualisiert: 24. Jan.

Wenn diese Momente des Grauens kommen und einen erfassen, gibt es wenig, das hilft. Man möchte dem entfliehen, die Gefühle nicht mehr fühlen, man möchte, dass es aufhört. Aufhören. Der Kopf soll aufhören zu denken und dieses Gedankenkarussell soll einfach stoppen. Gefühlt tausend Gedanken, die sich abwechseln und eher schwarz als weiß malen.

 

Diese Momente, Stunden, Tage, an denen man einfach zurück in den Mutterleib kriechen möchte – wie übersteht man sie am besten? Wie kommt man dadurch, ohne sich selbst zu schaden, indem man irgendwelche Substanzen konsumiert oder andere Kompensationen benutzt?

Es sind in der Tat diese Momente – Kippmomente - in denen man ganz einfach das Erlernte, das von dem man weiß, dass es hilft, über Board schmeißen und irgendetwas tun möchte, das ablenkt, das einen rauszieht aus dem Strudel. No matter what it could damage. Egal, was es anrichtet, egal welche Nebenwirkungen oder Nachwirkungen oder Konsequenzen es hat. Es soll aufhören! Stop it! Dann nimmt man Drogen, trinkt Alkohol, hat schlechten Sex mit Unbekannten, gibt Unmengen Geld an Spielautomaten oder für Shopping aus. Man will nur eins: raus aus sich selbst, nicht mehr fühlen, nicht mehr denken, man will, dass es aufhört. Ganz egal wie.

 

Was hilft in diesen Momentan tatsächlich ohne sich nachhaltig selbst zu schädigen?

Zunächst einmal die Sichtweise gemäß des Zitats von Gabor Maté „It´s not why the addiction, it´s why the pain”. Um Abhängigkeiten zu verstehen, muss man Schmerz fühlen können und lernen ihn zu fühlen. Schmerz, seelischer Schmerz, besetzt. Diese ungeheuren Schmerzen sind unsichtbar und beinahe niemand kann einem dabei helfen. Vielleicht der Mutterleib, aber das ist wohl keine Option. Wie kann man klar bleiben, bei dem Schmerz bleiben, ohne Drogen oder andere Substanzen zu konsumieren, die einem Abhilfe schaffen. Es ist niemals die Droge, die das Problem ist. Sie ist, genau wie Medikamente, die gemeinhin akzeptiert sind, Symptombekämpfung. Was hilft also den Schmerz zu lindern, wenn man ihn lindern will, ohne zu etwas zu greifen, das einen ablenkt vom Schmerz?

 

Zunächst einmal: was passiert im Körper, im Gehirn, wenn wir Schmerz fühlen?

Es ist egal ob es sich um einen Schmerz handelt, der getriggert ist, ob wir innerhalb unseres Heilungsprozesses durch schwierige Phasen der Aufarbeitung gehen oder uns ein Flashback ereilt. Egal, was der Auslöser für den Schmerz ist: es ist immer Hochstress für unser gesamtes System. Wir sind nicht mehr in der Balance, nicht mehr in der Mitte unseres Stresstoleranzfensters. Wir sind entweder im Sympathikus, sprich in der Übererregung unterwegs oder - gemäß der Polyvagaltheorie - in einem chronischen dorsalen Zustand, der eher von Taubheit oder depressiven Gefühlen, chronischer Erschöpfung und Antriebslosigkeit gekennzeichnet ist, bei dem aber immer der Sympathikus im Spiel ist. Das bedeutet, dass im chronisch dorsalen Zustand sympathikotone Erregungszustände wie Nervosität, innere Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten etc. immer auch mitschwingen. Wir befinden uns also zum einen in einem dysregulierten Zustand, der körperlicher Natur ist und entweder Lebensbedrohung oder Überlebenssicherung bedeutet. Im Gehirn ist dabei das limbische System aktiviert.

 

Welche Aufgabe hat das limbische System?

Zunächst ist das limbische System zuständig für z.B. die Steuerung der Funktionen von Antrieb, Lernen, Gedächtnis, Emotionen sowie vegetative Regulation der Nahrungsaufnahme, Verdauung und Fortpflanzung. Wenn wir also balanciert und ausgeglichen sind, gesund, aus uns selbst heraus ohne Kompensationen, dann sollten die körperlichen Funktionen auch normal funktionieren, sprich wir sind gesund, wir nehmen normal Nahrung zu uns, wir verdauen und haben Stuhlgang, wir sind verbunden mit unseren Emotionen und können klar denken, lernen und aufnehmen.

Wenn nun Stress ins System kommt, dann wird das limbische System (das Alarmsystem des Gehirns) aktiviert, was sich körperlich als Überlebensmodus zeigt: wir fühlen uns nicht mehr sicher. Das ist die Information. Wir fühlen etwas, das sich nicht angenehm bis hin zu bedrohlich oder gar lebensbedrohlich anfühlt.

Bei chonischer Dysregulation passiert das relativ schnell, weil das Normal unseres Systems ohnehin ein Zustand von Unsicherheit ist. Das limbische System hat sich anders entwickelt, d.h. es zeigt sich größer als bei einer gesunden Gehirnentwicklung und ist entsprechend viel schneller im Alarmzustand oder sogar in einem chronisch aktivierten Alarmzustand.



Was hilft also ab einem gewissen Stand im Heilungsprozess, wenn wir bestimmte Kompensationen bereits nicht mehr benötigen, uns aber diese immensen Schmerzmomente erfassen?

Auch wenn dies ein schwacher Trost ist: Glückwunsch. Du hast es bereits geschafft, dein Nervensystem und dein Gehirn umzuprogrammieren. Du hast alte Autobahnen (neuronale Netzwerke) verlassen und einen Trampelpfad (ein neues neuronales Netzwerk) erschaffen. Ein gesünderes, verbundeneres, ausgeglicheneres, ehrlicheres, authentischeres Sein erschaffen, welches mit weniger Kompensation auskommt. Dein Körpersystem weiß, dass es du halten kannst, dich selbst und deine Emotionen. Du hast die Sicherheit in dir bereits kennengelernt und fühlst dich in den meisten Momenten deines Lebens sicher in und mit dir, kannst für dich einstehen, kennst deine Grenzen besser und kannst sie kommunizieren, du verstehst deine Reaktionen und übernimmst die Verantwortung für sie. Du bist kein Spielball deiner Umgebung mehr, sondern selbstermächtigter und das zeigt sich auch in deinem Leben, deinem Alltag und deinen zwischenmenschlichen Beziehungen.


Das ist etwas GUTES!


Auch wenn es ein schwacher Trost ist, denn die nun aufkommenden Momente sind meist sehr stark und auch mit dem Verstand nicht zu erfassen. Hier gibt es bestimmte Dinge nicht mehr kognitiv zu verstehen, z.B. die eigene Geschichte oder was in welchem Lebensjahr passiert ist, das innere Kind. Darüber sind wir in diesem Stadium der Heilung bereits hinaus. Das haben wir verstanden, durchgearbeitet und integriert. Falls es etwas gibt, das es zu verstehen gilt, wäre es vorsprachlich. In diesem Moment geht es nicht um das rationale Verstehen, sondern lediglich und ausschließlich darum, zu fühlen was ist. Und das ist meist schlimm bis grauenhaft und vielleicht sogar ein Alptraum. Man sehnt sich nach Erlösung, nach einem Erlöser, nach einer Erlöserin, nach einer Substanz, nach irgendetwas, das Abhilfe schafft bei gleichzeitigem Wissen, dass das weder der Weg noch die Lösung ist. Man ist also hin und her geworfen zwischen relativ starken emotionalen Reaktionen und aber auch verstandesgemäßer Klarheit, dass Kompensation nicht der Weg ist verbunden mit der gleichzeitigen Suche nach einem neuen Weg des Umgangs. Wir befinden uns hier in neuen uns noch unbekannten Gewässern. Wir wissen es nicht. Wir müssen es herausfinden. Ich habe leider keine besseren Nachrichten.

 

Es ist durchaus möglich, dass alte, funktionierende Ressourcen nicht mehr helfen und es neue Ressourcen zu entdecken gilt. Wir haben neues Terrain betreten - warum sollten hier nicht auch neue Ressourcen gelten? Warum sollte man Neues mit Altem lösen können? Ich halte es für immens wichtig, sich dies vor Augen zu halten.

 

Was wäre also wirklich dein Wunsch für diese Momente? Was bräuchtest du?

Vielleicht ist es ein ganz kindlicher Wunsch nach Berührung, nach jemandem der dich einfach nur hält, während du diese Schmerzen durchfühlst?  Vielleicht ist es Lachen, verbundene Aktivitäten, bei denen du dich leicht fühlst und raus aus deinem Kopf kommst? Ist es für dich möglich, hier einmal zu imaginieren? Was ist dein Wunsch? Was deine Sehnsucht? Natürlich wird das Imaginieren nicht sofort zu einer Erlösung führen. Aber es ist ein erster Schritt herauszufinden, wo es dich hinzieht, wonach du dich sehnst, was du in dein Leben ziehen möchtest, in welche Richtung deine Veränderung gehen soll. Bezeugen und wahrnehmen und Schritt für die Schritt diese Sehnsüchte umsetzen. Du bist sowieso bereits selbstermächtigter, als du es jemals zuvor warst und mit jedem Prozess mehr und dem Folgen und Umsetzen deiner Sehnsüchte nährst du deine Selbstermächtigung und lernst dir selbst zu geben, was du brauchst. Und natürlich braucht es auch andere Menschen. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich rede nicht vom Einzelkämpferdasein, wenn ich von Selbstermächtigung spreche. Ein selbstermächtigtes Leben ist immer automatisch auch ein mit anderen ehrlich verbundenes Leben, ein Teilen und Gehalten-werden in schwierigen Momenten. Ehrliche Verbindungen sind genau dafür da.

 

Ressourcen können helfen. In den Körper kommen kann ebenfalls helfen.  Methoden, die mich aus dem Kopf ziehen, die meine Gedanken stoppen sind z.B. Dark Techno in meinem Ohren, mich in eisiges Wasser zu stürzen oder schreiben. Es sind meist die Sinne, die angesprochen werden. Und auch gilt: es kann sich verändern. Sanfte Methoden, singen oder reden waren immer das, was mir geholfen haben, aber mein Bedürfnis hat sich hier verändert. Und das gilt es ebenfalls zu beobachten – dass es sich verändert, dass es auf dem Weg neue Stimuli zu entdecken gilt. Diese die wir noch nicht kennen.

 

Ich kann nicht sagen, was dir hilft. Es kann etwas ganz anderes sein. Vielleicht brauchst du es ganz sanft, vielleicht spielst du ein Instrument, singst, malst, bist anderweitig kreativ, fühlst samtigen Stoff in deinen Händen, joggst o.ä.


Wenn du es nicht weißt, kann ich dich mit einem Reading genau auf dieses Thema unterstützen, indem wir uns anschauen, was du in diesen Momenten brauchst. Deine Seele wird dir antworten, das ist ganz sicher. Aber das sei nur am Rande erwähnt.

Es geht mir vielmehr darum, Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Heilungsprozesse im fortschreitenderen Stadium aussehen können und welche Gedanken und Erfahrungen ich dazu habe.

 

Ich hoffe du kommst gut und irgendwie durch diese Zeiten und gehst gestärkt aus ihnen hervor. Das wünsche ich dir von Herzen.

 

Alles Liebe

Sandra

 

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